Alte Musik in neuer Schönheit
Stuttgarter Zeitung |
Fragen über Fragen. Ist Claudio Monteverdis „Marienvesper“ ein liturgisches Werk oder doch (wie später Bachs h-Moll-Messe) eine Art Leistungsschau und Bewerbungsmappe, mit welcher der Komponist in Rom seine Fähigkeiten im alten Choralstil wie im neuen, barock konzertierenden Stil präsentieren wollte? Wie besetzt man das Instrumentalensemble, welche Sätze überlässt man Solisten, welche dem Chor, und wie kommt man Monteverdis Vorstellungen vom Raumklang am nächsten? Am Sonntagabend hat Jörg-Hannes Hahn mit dem Kammerchor Cantus und dem historischen Ensemble Concentus Stuttgart das schillernde Werk von 1610 in der Bad Cannstatter Lutherkirche in einer Weise aufgeführt, die kaum Fragen offenließ: so stimmig war die Darbietung, so gelöst hat sie gewirkt, und so organisch war die Musik im Fluss.
Hahn entschied sich für eine Mischung: Die „Marienvesper“ bettete er ein in den kirchlichen Zusammenhang, er stellte den Psalmen Antiphonen voran, gesungen von den Männern des (krankheitsbedingt leider hörbar reduzierten) Chores, ließ der stilistischen, klanglichen und emotionalen Vielfalt der Partitur aber Raum wie in einem Konzert, gab das Werk, indem er den Part des Chores nicht beschnitt, als Oratorium, und bemühte sich mit variierenden Aufstellungen bei den doppelchörigen Sätzen um variable akustische Umhüllungen des Publikums. Die Solistinnen und Solisten, herausragend unter ihnen die beiden exzellenten Tenöre David Munderloh und Tore Tom Denys, sangen überwiegend vibratoarm, wagten aber hier und dort auch ein wenig italienischen Schmelz. Das „Duo Seraphim“ geriet so zum innigen Zentrum der Aufführung.
Gelöstheit und Gelassenheit
Das Instrumentalensemble: ein Traum mit sicheren, durchsichtig und fein gestaltenden Akteuren an Zinken, Posaunen, Laute, Violinen und im Continuo. Der Chor bewältigte seine Aufgaben im Wechsel zwischen Sechs- und (doppelchöriger) Zehnstimmigkeit selbst in langsamen Passagen sehr gut. Dafür, dass Einsätze der Männerstimmen bei den Antiphonen manchmal nicht ganz auf den Punkt kamen und dass es die Soprane (vor allem in der „Sonata sopra Sancta Maria“) ab und zu intonatorisch ein wenig abwärts zog, bot unter anderem der wunderschön verhaltene Piano-Chorklang im Hymnus („Ave maris stella“) reichlich Entschädigung. Dass Jörg-Hannes Hahn bei solistischen Passagen immer wieder den Taktstock sinken und den Interpreten das gestalterische Feld überließ, krönte den Eindruck von Gelassenheit und Gelöstheit, den dieser Abend hinterließ.