Krönender Abschluss


Stuttgarter Zeitung | Verena Großkreutz

Das ist sicher die berühmteste Anekdote, die Johann Sebastian Bachs Vita schmückt: Dass sein „Musikalisches Opfer“ das Werk eines Gedemütigten ist, der sich intellektuell rächen wollte. Am Alten Fritz nämlich, dem Hobbyflötisten, der den Thomaskantor in einer Audienz in Potsdam 1747 vermessenerweise dazu aufgefordert haben soll, über einem von ihm selbst vorgegebenen Thema eine sechsstimmige Fuge zu improvisieren. Sechsstimmig! Improvisieren! Über ein Thema, das, ehrlich gesagt, ja schon ein bisschen weinerlich ist: Erst steigt es langsam in großen Schritten auf, dann plumpst es in die Tiefe, um wieder weit nach oben zu springen und von dort aus wieder abzusacken, jetzt minutiös jammernd. Ein Thema, das auf die Nerven geht.

Dass der geniale Bach daraus stante pede eine dreistimmige Fuge extemporierte, hatte dem Preußenkönig nicht gereicht. Als Schmach habe Bach das empfunden, wird bis heute kolportiert.

Sei’s drum. Der zu diesem Zeitpunkt bereits alte Bach schrieb auf der Grundlage dieses „königlichen“ Themas dann eine interessante Sammlung, die zwei komplexeste Fugen, eine Menge kahler Kanons und eine äußerst unterhaltende Triosonate umfasst. In allen Stücken ist das larmoyante Thema omnipräsent.

Das gesamte „Musikalische Opfer“ konnte man jetzt in einer quicklebendigen Aufführung in der Stadtkirche Bad Cannstatt im Rahmen der Konzertreihe „Musik am 13.“ hören. Und zwar als Abschluss eines großen, aufwendigen Projekts: der Aufführung der gesamten Bach’schen Kammermusik. Dafür hat „Musik am 13.“, in deren Veranstaltungen der Eintritt in der Regel frei ist, ihr namensgebendes Prinzip für drei Monate aufgegeben. Nicht am 13. jedes Monats fanden die Konzerte statt, sondern an zwölf aufeinanderfolgende Wochenenden immer sonntags. Ein Kraftakt.

Der künstlerische Leiter der Reihe, der umtriebige Kirchenkreiskantor Jörg-Hannes Hahn,hat dafür eine Menge Spezialisten und Spezialistinnen der historischen Aufführungspraxis an Bord geholt. Beim „Musikalischen Opfer“ saß er selbst am Cembalo, flankiert von Monika Scholand (Traversflöte), Christine Busch (Violine) und Anderson Fiorelli (Violoncello).

Die beiden Fugen spielte Hahn solo am Cembalo. Es sind Werke, die übersichtlich beginnen, immer dichter und dissonanzreicher werden und dann in der Klangwelt der Orgelimprovisation landen. Diese komplexen Strukturen in hohem Tempo und bisweilen glitzernd-klirrenden Klangkaskaden zu bewältigen, meisterte Hahn mit professioneller Lässigkeit und stupender Technik.

In den dagegen ohrentspannenden Kanons, in denen Fritzens Thema naturgemäß am nacktesten zur Geltung kommt, teilten sich alle vier Musizierenden die Aufgaben, um dann in der final gespielten Triosonate mit virtuos befeuerter Spielfreude zu brillieren. Klar, dass das berühmte Thema in dieser sinnlichen, farbigen Klangwelt – in der sich das beseelte, lebhaft beredte Spiel der Violinistin und der Flötistin perfekt ergänzten – etwas von seiner Wehleidigkeit verlor. Große Begeisterung und Jubel in der gut besuchten Cannstatter Kirche.

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