Phänomenal!


Cannstatter Zeitung | Markus Dippold

Klassik Jörg-Hannes Hahn realisiert Bernd Alois Zimmermanns „Requiem für einen jungen Dichter“ in Stuttgart.

Ein letztes Mal erklingt der zentrale Text: „Dona nobis pacem“. Diese Bitte um Frieden ist in Bernd Alois Zimmermanns „Requiem für einen jungen Dichter“ ein lautstarker Ruf, beinahe ein in höchster Lage artikulierter Schrei, für den noch einmal die Masse der Beteiligten aktiviert wird. Jörg-Hannes Hahn hat dieses äußerst selten zu erlebende Werk in der Lutherkirche Bad Cannstatt realisiert und führt damit Zimmermanns 1969 voll- endeten Appell eindringlich vor Ohren. Allein die Masse der künstlerischen Mittel ist in diesem einstündigen Werk ehr- furchtgebietend. Drei Chöre, ein Jazzensemble, ein großes Orchester sowie je zwei Sprecher (Rainer Wolf, Felix Heller) und Vokalsolisten werden von einer komple- xen elektroakustischen Ebene (Realisation: SWR Experimentalstudio) ergänzt.

Entsprechend voll ist die Lutherkirche, wo man als Zuhörer ringsum von Klängen eingehüllt wird. Mitunter wandern diese dank der kreisförmig aufgestellten Laut- sprecher ums Publikum herum, teilweise überlagern sich die akustischen Schichten. Zimmermann arbeitet in seinem Requiem mit simultanen Textebenen. Auszüge aus dem Grundgesetz treten gleichberechtigt neben den lateinischen Messetext. Politi- sche Reden, philosophische Reflexionen und vielsprachige Lyrik verbinden sich zu Zimmermanns ästhetischer Ideologie von der Kugelgestalt der Zeit.

Ähnlich wie in seiner Oper „Die Soldaten“ will der Komponist die Gesetze der Zeit aufheben, will Vergangenheit und Gegenwart ineinander blenden, was im Idealfall den Zuhörer dem Augenblick enthebt. An diesem Abend gelingt das immer wieder, was neben der Vielfalt der ästhetischen Mittel auch der Leistung der Akteure zu verdanken ist. Insbesondere die Männerstimmen des Ensembles Vocappella Limburg, die im Prolog besonders gefordert sind, begeistern mit ihrem präsenten Klang. Auch der Konzertchor Darmstadt und Jörg-Hannes Hahns Bachchor Stuttgart sind extrem gefordert mit dissonanten, weit gespreizten Klängen.

Yuko Kakuta (Sopran) und Uwe Schenker-Primus (Bariton) bewältigen die heiklen, ausufernden Koloraturpartien souverän, auch die Stuttgarter Philharmoniker lassen sich mit Bravour auf die Herausforderung ein. Jörg-Hannes Hahn steuert die Massen mit präziser Zeichengebung durch die jedes Maß überschreitende Partitur, die aufwühlt, erschreckt und ein Gefühl der Beklommenheit auslöst.

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