Ton Koopman und Klaus Mertens begeistern ihr Publikum in der Cannstatter Reihe „Musik am 13.“ mit Bachs Schemelli-Liedern.
Stuttgarter Nachrichten |
Stuttgart - Von Georg Christian Schemelli würde heute niemand mehr reden, hätte er nicht im Jahr 1736 in Leipzig sein „Musicalisches Gesang-Buch“ herausgegeben – was freilich nur der Kurztitel ist. Denn entsprechend der barocken Vorliebe für ausführliche Namensgebung heißt es auf dem Deckblatt weiter: „Darinnen 954 geistreiche, sowohl alte als neue Lieder und Arien, mit wohlgesetzten Melodien, in Discant und Baß, befindlich sind“. Von den meisten dieser geistlichen Lieder, gedacht für häusliche Privatandachten, sind in dieser Sammlung allerdings nur die frommen Texte zu finden. Nur 69 der Buß-, Morgen-, Abend- und Trauer-Gesänge sind mit Melodien und Generalbassziffern für die Begleitung versehen. Irgendwie hat Johann Sebastian Bach an diesen 69 Liedern mitgearbeitet. In welchem Ausmaß dies geschah, darüber wird in der Musikwissenschaft bis heute emsig geforscht. In den meisten Fällen stammte wohl höchstens die Generalbassstimme von ihm. Dennoch wurden die 69 Gesangsstückchen dem Bach-Werke-Verzeichnis als BWV 439 bis 507 einverleibt.
In einem Konzert der ambitionierten Cannstatter Reihe „Musik am 13.“ konnte man jetzt 25 dieser Lieder hören. Und zwar in exquisiter Besetzung, mit zwei alten Hasen der Bach-Interpretation: dem Bassbariton Klaus Mertens, der so gut wie alles gesungen und aufgenommen hat, was Bach für sein Stimmfach je komponierte, und dem historischen Aufführungspraktiker aus den Niederlanden, Ton Koopman. Der begleitete am Orgelpositiv respektive Cembalo und sorgte zwischen den Liedblöcken mit Präludien und Fugen von Buxtehude und Bach für Abwechslung.
Die unspektakulären, schlichten Lieder gingen runter wie Butter. Mit seiner sonoren, angenehmen Stimme veredelte Mertens die Eintönigkeit, die die Aneinanderreihung solch nüchtern-einfacher Lieder erzeugt, in einen meditativen Hörsog. Schnörkellos und vibratofrei sang er, nur gelegentlich einzelne Worte emphatisch hervorhebend: hier ein „Alleluja“, dort die göttliche „Kraft“ oder das „Lob“. Koopman sorgte mit immer wieder überraschender Klanglichkeit für Kurzweil. Mal ließ er die kleine Orgel freudig glucksen, mal entfachte er am Cembalo hell sprudelnde Klangwolken, die sich solistisch und in rasendem Tempo gelegentlich auch spektakulär schroff einfärbten. Das Publikum in der Cannstatter Stadtkirche hatte auch nach 70 Minuten noch nicht genug von diesem in jeder Hinsicht erbaulichen Konzert und forderte zwei Zugaben.